63.000 Betroffene in Unterfranken

Im Rahmen der Kampagne „Armut trifft…“, die von verschiedenen kirchlichen Verbänden in der Diözese getragen wird, hat die Ackermann-Gemeinde die ArbeitsmigrantInnen in den Blick genommen.

In Zusammenarbeit mit Renovabis und der Diözesanstelle Weltkirche lud sie zu einer Podiumsdiskussion ins Burkardushaus ein. „Sie fehlen. Immer. Irgendwo. Arbeitsmigration aus Osteuropa“ lautet das Motto der diesjährigen Renovabis-Aktion.

Dr. Anrás Márton, Caritas-Direktor in Alba Iulia, Rumänien, kam extra von der Eröffnung der Renovabis-Pfingstaktion aus Hildesheim nach Würzburg. In seinem Impulsreferat machte er mit beeindruckenden Zahlen deutlich, wie sein Land unter der Abwanderung von Fachkräften leidet: 4 Millionen Menschen sind seit der Wende abgewandert, das ist 30% der Bevölkerung. Darunter sind z.B. 30% der Ärzte und 30% der Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren. Das bedeutet ein „Ausbluten“ der sozialen Strukturen, wie Familien und Gemeinden. Innerhalb der EU ist Rumänien das ärmste Land. Er empfiehlt Mindeststandards in der Sozialpolitik auf EU-Ebene zu schaffen. So sollten verbindliche Qualitätsstandards bei der Arbeitsvermittlung und den Arbeitsverträgen eingehalten werden. Die Zivilgesellschaft sollte gestärkt werden, um ein Abgleiten in radikale Entwicklungen zu verhindern.

Der Landtagsabgeordnete Manfred Ländner gab Ergebnisse einer Anfrage an die bayerische Staatsregierung bekannt, die Einblick in die Situation der Arbeitsmigration in Unterfranken gab. Dass dies bei uns sehr wohl ein Thema ist, machten die Zahlen deutlich: allein 63.000 Ausländer sind bei uns als sozialversicherungspflichtig registriert. Diese kommen größtenteils aus Polen und Rumänien. Sie sind v.a. in der Land- und Forstwirtschaft, in der Pflege, in der fleischverarbeitenden Industrie und im Logistikbereich tätig. Sorge macht ihm der sogenannte „Graubereich“, der v.a. im Pflegebereich herrscht. Auch im Logistikbereich sind viele Fahrer nicht hier registriert, da sie bei ausländischen Firmen angestellt sind. Fortschritte sieht er hier bei der Unterbringung und durch die Einführung des Mindestlohns. Rechtsvorschriften sind nur so gut, wie sie auch überwacht werden können. Er betonte, dass auch Deutschland einen Fachkräftemangel hat. Dieses Problem müssten wir aber selbst angehen.

Marius Hanganu, aus Nürnberg, ist Mitarbeiter in einer der deutschlandweit agierenden 13 Beratungsstellen von „Faire Mobilität“. Die Instabilität und die Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften führten vor 10 Jahren zur Gründung dieser Organisation durch den DGB. Täglich erreichen ihn zahlreiche Anfragen, die prekäre Arbeitsverhältnisse von ArbeitsmigrantInnen betreffen. Eine kostenlose Hotline in den Sprachen der osteuropäischen Länder erleichtert die Kontakte zu den Beratungsstellen. Er plädiert für eine Ausweitung der Beratungsstrukturen und fordert für Bayern eine zentrale Anlaufstelle.

Eva-Maria Pscheidl, Leiterin des Fachbereichs Pflege und Betreuung im Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Würzburg, stellte das Projekt „CariFair“ vor. 2009 in Paderborn gestartet, gibt es seit kurzen auch hier eine solche Anlaufstelle. Es geht um die Vermittlung von Pflegekräften in Privathaushalte. Bei Besuchen ergeben sich oft Hinweise auf prekäre Situationen im Pflegebereich. Bei „Carifair“ erleben die Betreuungskräfte und die Betreuten eine gerechte, transparente und legale Arbeitssituation. Ohne die Kräfte aus Osteuropa wäre bei uns keine häusliche Pflege gesichert. Seit September letzten Jahres gab es 50 Anfragen, 6 Personen konnten vermittelt werden.

Im anschließenden Podiumsgespräch griff der Moderator, Alexander Sitter von der Diözesanstelle Weltkirche, die Forderungen auf, die im „Münchner Appell“ von Renovabis an Politik, Gesellschaft, Kirche und jeden Einzelnen gestellt werden. Es wurde klar, dass die Thematik weder in der Politik, noch in den Köpfen der Menschen angekommen ist. Es war wichtig, einmal über den eigenen Zaun zu schauen, welche Auswirkungen die Arbeitsmigration in den Herkunftsländern hat.

Hans-Peter Dörr

Fotos: Gabriele Meinert